Mit eisernem Willen lassen sich nicht nur Berge versetzen, sondern auch prähistorische Schilfboote bauen. „Das haben wir bewiesen“, sagt Dominique Görlitz, „und wir werden noch mehr zeigen.“ Mit Ehrgeiz und Geschick will die 33jährige Landratte aus Borna bei Leipzig per Schilfboot die Straße von Gibraltar passieren und zu den Kanaren segeln. Der Countdown für das große Abenteuer läuft. Am 22. Mai wird der Biologie- und Sportlehrer im Hafen von Alghero auf Sardinien ablegen. Zehn Wochen später will er die 4200 Kilometer lange Reise gemeistert haben. Geht alles klar, dürfte ihm und seiner achtköpfigen Besatzung – darunter sind fünf Chemnitzer – ein Platz im „Seefahrer-Olymp“ sicher sein. Dominique Görlitz ist weder verrückt noch lebensmüde. Er ist auch kein fanatischer Extremsportler auf der Suche nach dem ultimativen Kick. Der gebürtige Thüringer und seine insgesamt 25 Helfer wagen ein einzigartiges archäologisches Experiment.
Ihr Boot ist eine Nachbildung der prähistorischen Schiffe, die vor über 6000 Jahren das Mittelmeer befuhren. Das sächsische Hochseeteam will beweisen, daß diese Fahrzeuge wie moderne Segelschiffe manövrieren und gegen den Mistralwind kreuzen konnten. Mehr noch: Görlitz unterstützt einen Professor für kanarische Landesgeschichte bei seinen Forschungen um die Herkunft und die kulturellen Wurzeln der Insel-Urbewohner. Gleichwohl erklärt das längst nicht die Hartnäckigkeit, mit der Dominique Görlitz sein Ziel verfolgt. „Ich erfülle mir auch den größten Jugendtraum“, gesteht er. Er berichtet davon, wie er in der siebten Klasse von der Tigris-Expedition las, später dann die Bücher von Thor Heyerdahl und seinem Papyrusboot „Ra II“ verschlang. Schon 1983 baute Görlitz im heimischen Thüringen ein sechs Meter langes Schilfboot. „Es schwamm drei Monate auf dem Dorfteich“, erinnert er sich stolz.
Sieben Jahre lang ließ Görlitz dann die Finger vom Schilf. Erst als Wehrdienstleistender besann er sich auf die aufregende Zeit auf dem Wasser. Am 26. September 1990 stach Görlitz erneut in See, nicht mehr allein, sondern mit Freundin Conni. „Auf der Kuhweide bei Gotha haben wir gemeinsam Schilf geschnitten“, lacht sie. Im Greifswalder Bodden wollten die beiden mit ihrem elf Meter langen Schiff kreuzen. Doch anstelle eines eleganten Schwanes hatten sie einen „störrischen Esel“ unter den Füßen. Einziger Trost war der Beweis, daß Schilf „praktisch unsinkbar“ ist. Ans Aufgeben dachte trotzdem niemand. Den nächsten Anlauf startete das Pärchen über Ägypten. Dort studierten sie unter Anleitung von Experten alte Felsbilder und erkannten, daß ihr Kahn falsch projektiert war. Ein neuer wurde gebaut, nun mit Seitenschwertern im Rumpf. 1994 sorgten die Thüringer Segler während der Kieler Woche für Furore. Inzwischen zogen beide nach Chemnitz.
Dort starteten sie in verschiedenen Schulen als Referendare, fanden viele Freunde und gewissermaßen Gleichgesinnte. Zunächst wurden Einbäume gebaut und getestet, Berechnungen angestellt und geträumt. Mitte der neunziger Jahre schließlich bekam Seefahrerlegende Thor Heyerdahl Wind von den hartnäckigen Mühen der Sachsen und Thüringer. Der Norweger lud Görlitz nach Teneriffa ein. Der wurde dort gleich in doppelter Hinsicht fündig. Görlitz gewann nicht nur in Heyerdahl einen Förderer und Berater, sondern lernte auch jenen Professor kennen, der heute mit hinter der Expedition steht. „Ich war begeistert, fast euphorisch“, erinnert sich Görlitz an die Reiseeindrücke. Die Ernüchterung ließ aber nicht lange auf sich warten. Da sich kein Sponsor für die Expedition fand, wollte das Neolithic-Team 1997 aufgeben. Görlitz, der inzwischen am Gymnasium „Am Breiten Teich“ in Borna tätig war und in der AG „Experimentelle Archäologie“ weitere Mitstreiter fand, erzählt von totaler Frustration.
Und trotzdem. „Obwohl wir nur 500 Mark in der Expeditionskasse hatten, ernteten wir im Herbst 1997 18 Tonnen sächsisches Schilf“, sagt er. Die Hilfsangebote kleiner Firmen kamen. Den Winter über fertigten die Hobbyarchäologen 32 Schilfbündel, jedes über 15 Meter lang und 300 Kilogramm schwer, sowie eine 150 Quadratmeter große Schilfmatte. Zwei Tieflader transportierten die Teile nach Alghero. Im Sommer 1998 verzurrten die Schüler, Studenten und Lehrer die Bündel nach Art der antiken sumerisch-ägyptischen Bootsbauer zu einem Schiffskörper. Elf Meter lang, vier Meter breit und zwölf Tonnen schwer ist der Rumpf. Zehn Kilometer Seil wurden verbraucht. „Jetzt müssen nur noch die Decksaufbauten drauf“, so Görlitz.